Freiheit über Andere

Zum Urteil des LG Köln, das erstmals die Beschneidung eines Jungen als strafbare Körperverletzung bewertet hat, die Kinderhilfe:

Wenn die Kritiker nun eine unzumutbare Einschränkung der Religionsfreiheit in Deutschland monieren, dann geht schon die Begrifflichkeit fehl, denn es handelt sich um die Einschränkung einer durch die Tradition begründete Ausübung ihrer Religion zulasten ihrer Kinder. Die Eltern entscheiden sich unter Berufung auf ihre Religion für eine irreversible Körperverletzung ihres Kindes, das nicht in der Lage ist, eigenverantwortlich und selbstbestimmt darüber zu entscheiden, ob es in diese gravierende lebenslange Einschränkung wegen der Religionszugehörigkeit seiner Eltern einwilligt. Dies als Ausübung eines Freiheitsgrundrechts zu sehen, fällt schwer.

Bei Einwänden wie diesem, fällt es mir doch schwer, sachlich zu bleiben:

Das wäre so, wie wenn Sie Christen die Taufe verbieten wollten. Momentan wird so getan, als habe ein Kind nicht das Recht, in eine Religion hineinzuwachsen.

Zum Vorschlag, man könne das ja auf ein angemessenes Alter verschieben:

Das wäre grausam. Jugendliche kriegen das im Unterschied zu Kleinkindern voll mit und haben dann Angst. Die könnten ihren Eltern mit Recht vorwerfen: Warum habt Ihr das nicht gemacht, als ich ein Säugling war? […] Wenn er das nicht erfüllt, wird ihm das vielleicht zunächst egal sein, aber wenn er älter ist, sieht er, dass andere beschnitten sind und merkt dann, er gehört nicht dazu.

Dazu:

  1. Auch die Säuglingstaufe in christlichen Kirchen ist aus meiner Sicht einer „aufgeklärten Religion“ (hust) unwürdig. Das hängt natürlich auch mit meiner Sozialisierung bei den Mormonen zusammen, die erst ab acht Jahren taufen. Heute würde ich aber selbst das erst mit 14 Jahren gutheißen können (Religionsmündigkeit).

    Die christliche Taufe hinterlässt wenigstens im Gegensatz zur Beschneidung keine bleibenden körperlichen Schäden oder Zeichen, die der Betroffene sein Leben lang nicht loswird. Sie zwingt lediglich einen Gang zum Amt auf, um der durch die Entscheidung der Eltern auferlegten Kirchensteuerpflicht zu entgehen (was schlimm genug ist).

    Die UN-Kinderrechtskonvention sagt dazu in Art. 14, Absatz 2:

    Die Vertragsstaaten achten die Rechte und Pflichten der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds, das Kind bei der Ausübung dieses Rechts in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise zu leiten.

    „Dieses Recht“ bezieht sich hier eindeutig auf das Recht des Kindes auf seine eigene freie Religionsausübung. Ein Säugling oder Kleinkind ist aber überhaupt nicht in der Lage, irgendeine Religion auszuüben, da gibt es also nichts zu leiten.

  2. „Das Recht, in eine Religion hineinzuwachsen“ existiert schlicht nicht. Natürlich dürfen Eltern ihre Kinder als Teil einer religiösen Gemeinschaft aufwachsen lassen. Aber Körperverletzungen als Preis für die Aufnahme in diese Gemeinschaft muss ein Rechtsstaat nicht tolerieren.

  3. Präventiv eine Körperverletzung an einem Säugling vorzunehmen, weil er eventuell denselben Eingriff als Jugendlicher als grausam empfinden würde und sich dann aufgrund des sozialen Drucks durch seine Religionsgemeinschaft wünscht, das hätte man ihm schon im Säuglingsalter angetan, ist an Absurdität überhaupt nicht zu überbieten.

Da hilft auch keine Jahrtausende alte Tradition. Und die Drohung, dass die gläubigen Eltern dann ja zu Scharlatanen oder ins Ausland getrieben werden, kommt ironischerweise gerade aus der Ecke, die dieses Argument in der Abtreibungsdiskussion nicht gelten lassen will.

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