Re: der Richter beschnittene Vernunft

Roberto,

Deine Aufforderung zu mehr Demut aus dem Kreis der Atheisten finde ich nachvollziehbar und wichtig. Ich beziehe das auch durchaus auf mich persönlich.

Deine Sorge, dass sich das Urteil durch verabscheuungswürdige Gruppen instrumentalisieren lässt, ist für mich ebenfalls nachvollziehbar. Das macht das Urteil aber noch nicht falsch.

Das hier angewandte Recht, bzw. die Systematik dahinter, ist auch wirklich nichts Besonderes. Das wird so jeden Tag angewandt. Schon das Haareschneiden ist eine Körperverletzung, sie ist aber nur ohne Einwilligung rechtswidrig.

Die Frage ist hier, so verstehe ich (kein Jurist) das zumindest, ob Eltern in diesen Fällen stellvertretend für ihr Kind in die Körperverletzung einwilligen können. Dabei müssten sie sich auf ein schutzwürdiges Gut des Kindes beziehen. Die Religion der Eltern kann da (meines Erachtens) überhaupt keine Rolle spielen. Ein Bezug auf die Religionsfreiheit des Kindes ist aber auch widersinnig, da die Kinder, um die es im Allgemeinen geht, noch nicht einmal annähernd dazu in der Lage sind, sich für oder gegen irgendeine Religion zu entscheiden. In Deutschland sind erst Kinder ab vierzehn Jahren voll religionsmündig.

Was die Eltern hier tun, ist entweder eine Befriedigung der aus der eigenen Religiösität erwachsenden Bedürfnisse, oder ein Vorgreifen auf die erwarteten Entscheidungen des Kindes in der Zukunft. Letzteres ist jetzt grundsätzlich nichts Ungewöhnliches, aber die Beschneidung berührt zwei der privatesten Bereiche der menschlichen Existenz, der Sexualität und der Religiösität. Ich möchte nicht, dass Eltern derart in das spätere Leben ihrer Kinder eingreifen dürfen. Ersteres darf (aus meiner Sicht) offensichtlich den Eingriff nicht rechtfertigen.

Insgesamt halte ich es nicht für zielführend und auch für inhaltlich falsch, den Richtern oder den Befürwortern des Urteils Islamophobie oder Abneigung gegen Juden zu unterstellen. Mal ganz doof: Richter sind Juristen, und die entscheiden so etwas im Zweifel schematisch. Dass dabei nicht unbedingt sensibel mit Befindlichkeiten umgegangen wird, ist bekannt, aber auch wichtig.

Ja, zur Wahrung des gesellschaftlichen Friedens könnte eine gesetzliche Regelung helfen. Das wäre nicht meine bevorzugte Lösung, aber auch nicht die Schlechteste, wenn das Gesetz am Ende denn brauchbar ist. Was ich aber von religiöser Seite lese, verstehe ich als einseitige Aufkündigung dieses Friedens, weil diese Menschen ihre Religion über das Gesetz stellen. Ich möchte nicht, dass so etwas politisch oder juristisch toleriert wird. Nicht aus historischer Verantwortung heraus und nicht zur Wahrung eines gesellschaftlichen Friedens, der bei diesen Themen immer wieder einseitig zur Disposition gestellt wird.

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