(Warnung: dieses Posting ist teilweise ziemlich wild mit Links gespickt, von denen sicher nicht alle für Dich interessant sind. Es gibt einfach zu viele inhaltliche Überschneidungen und letztlich entscheidet Dein Kenntnisstand und Interesse, was wichtig ist. Wenn Du Mormonen nicht wirklich kennst, ist der zweite Link im nachfolgenden Text auf jeden Fall zu empfehlen. Zum besseren Verständnis der Seiten hilft vielleicht auch ein Glossar: englisch, deutsch.)
Wie angekündigt kommen hier ein paar Worte zum Thema Mormonen oder Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, wie die sich offiziell nennen. Da sich hier anscheinend inzwischen gelegentlich Leser einfinden, die mich nicht persönlich kennen: ich bin in dieser Kirche aufgewachsen und war dementsprechend bisher auch ein Mitglied. Seit ich sechzehn bin allerdings nur noch passiv (im Sinne von: ich stand halt auf der Mitgliederliste) und es hätte einige Gründe gegeben, mich aus dem Verein rauszuschmeißen. Aber ich bin denen zuvorgekommen:
Lieber XXX,
Mit diesem Brief gebe ich, Jochen Schulz, geboren am 27. Februar 1981, meine -- seit bald zehn Jahren sowieso nur noch formal bestehende -- Mitgliedschaft in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage mit sofortiger Wirkung auf. Ich möchte von jetzt an nicht mehr als Mitglied der Kirche behandelt werden und Gegenstand von kirchlichen Vorgängen, Entscheidungen oder offiziellen Bewertungen entsprechend der kirchlichen Glaubensgrundsätze sein. Bitte erledige alles, was nötig ist, dass mein Name aus den Akten der Kirche entfernt wird.
Mir ist die -- aus Sicht der Kirche -- Schwere der Konsequenzen dieser Entscheidung, wie sie im "`Church Handbook of Instructions"' beschrieben sind, voll bewußt. Ich habe diese Entscheidung nicht leichtfertig oder spontan getroffen und werde sie in absehbarer Zeit nicht widerrufen. Deswegen wünsche ich auch keine weitere Bedenkzeit, Interviews oder Besuche.
Ich bitte darum, dass diese Anglegenheit zügig und vertraulich behandelt wird. Der einzige Kontakt, den ich von der Kirche wünsche, ist die schriftliche Bestätigung meines Austritts.
Mit freundlichen Grüßen
/me
Ich bin ja gespannt, wie darauf reagiert wird. Der Text ist größtenteils eine Übersetzung des Beispielbriefs auf mormonnomore.com. Teilweise stützt er sich auf US-amerikanisches Recht, wonach so ein Austritt mit dem Empfang Gültigkeit hat. Für Deutschland habe ich da nichts Anwendbares gefunden, gehe aber erstmal davon aus, dass die meinem Willen folgen. In den USA gab es wohl mal den einen oder anderen millionenschweren Prozess, weil die Kirche jemanden (in einem "Kirchengericht") exkommunizieren wollte, der schon längst ausgetreten war. Sie hat's dann gelassen.
Warum mache ich das? Und warum gerade jetzt? -Interessante Frage. Wie erwähnt habe ich in meiner Jugend sowieso mit dem Verein gebrochen. Der damalige Grund dafür war einfach, dass mir nicht nur der Glaube fehlte, sondern sich wirklich alles in mir gegen die Regeln und psychologischen Mechanismen (wirklich guter Text, aber furchtbar lang!) sträubte. Wie es so in diesem Alter ist, begann ich gerade erst damit, mich selbst zu entdecken. Ich las Narziß und Goldmund von Hermann Hesse und später Alice Miller. Und währenddessen wollten die Leute ständig von mir, dass ich bete und "in mich hineinhöre", ob der Heilige Geist mir mir nicht etwas zu sagen hat. Und es war natürlich klar, dass er mir nicht irgendetwas sagen würde, sondern wenn ich wirklich ernsthaft bete, dann würde ich wissen, dass all die äußerst merkwürdigen Geschichten (deren Umfang mir damals noch nicht einmal klar war!) wahr sind. Ich bin wirklich kein großer Mathematiker, aber beten, ob es einen Gott gibt? Für mich war klar, dass ich aus diesem Teufelskreis nicht unbeschadet entkommen könnte. Gleichzeitig wurde mir auch klar gemacht, dass für mich selbst als Persönlichkeit in dieser Gemeinschaft kein Platz sein würde. Alles, was ich als untrennbar mit meiner Person betrachtete, hatte keinen Platz in diesem Leben. Der natürliche Mensch ist ein Feind Gottes habe ich gelernt. Das läßt nicht viel Interpretationsspielraum.
Und es ist nicht so, dass ich es nicht versucht hätte. Oft genug habe ich bewußt versucht, mich selbst auszutricksen. Ich habe an allen Veranstaltungen teilgenommen, die es so für Jugendliche gibt. Und das sind viele, denn die Kirche möchte ihre Mitglieder ein gutes Stück weit vor der Welt da draußen beschützen. Ich war sogar in einem ihrer Tempel, um mich für die Toten taufen zu lassen. Weltfremder gehts nimmer. Und, um mich zu wiederholen, ich wußte ja noch nicht einmal, was da alles passiert (die ganze Seite von Richard Packham ist übrigens großartig). Von der teilweise blutigen Kirchengeschichte, rassistischen Lehren, Frauenfeindlichkeit und historischen Widersprüchen ganz zu schweigen.
Tja, damals wußte ich vieles noch nicht einmal. Aber intuitiv habe ich mich – wie so oft – für meine geistige Gesundheit entschieden. Toll, wie das immer wieder funktioniert. Aber direkt nach dem ich mich entschlossen habe, dass ich von denen nix mehr will, hatte ich weder Lust noch die Kraft, mich damit auseinanderzusetzen. Außerdem war die Quellenlage noch nicht ganz so gut wie heute. Die letzten Jahre habe ich immer mal wieder an Austritt gedacht, es ist aber nie soweit gekommen. Es gab sogar ein Gespräch mit einem Kirchenvertreter (den ich persönlich sehr schätze), in dem ich meinen Wunsch auszutreten thematisiert habe. Aber selbst, wenn man austritt, wollen die einem noch ihre Regeln aufdrücken. Während meiner Diplomarbeit habe ich mich dann nebenbei (weiß Gott, wie es dazu kam!) mal wieder damit beschäftigt und dabei einiges über den Verein gelernt. Unter anderem las ich eben, wie man den Kirchenaustritt am besten bewerkstelligt und warum die sich das so kompliziert machen. Neulich rief dann ein armes Schäfchen an um mich zu fragen, ob ich nicht mal wieder Besuch bekommen möchte. Er tat mir tatsächlich etwas leid, weil er hörbar unsicher war und ich zudem noch belustigt. Ich habe aber die Chance ergriffen und ihn nach dem Namen und der Adresse des aktuellen Bischofs in "meiner Gemeinde" gefragt. Damit hatte ich dann alles beisammen, was ich brauchte und ich habe Freitag den oben zitierten Brief abgeschickt.
Gutes Gefühl.